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Happy Mindestlohn: Fluch oder Segen?

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Die instinktive Antwort auf diese Frage dürfte jedem Juristen gefallen: Es kommt drauf an. Worauf? Auf vieles. Vor allem natürlich auf die Perspektive. So dürfte der betroffene Arbeitnehmer grundsätzlich erst einmal erfreut sein – der zugehörige Arbeitgeber eher weniger. Sehr schön hat man das auch an den monatelang heißblütig geführten Debatten gesehen und gehört, die den Mindestlohn entweder als Teufelszeug verunglimpften oder als Heiligen Gral überhöhten.

Ausnahmen, Übergangsregelungen, Schlupflöcher

Nun ist er jedenfalls da. Klar ist aber bereits, dass einige sich auf keinen Fall freuen können. Denn was wäre des Deutschen Gesetzessänderung ohne ein paar Ausnahmen: Jugendliche unter 18 Jahren ohne Berufsausbildung, ehrenamtlich Beschäftigte und Menschen, die nach mehr als einem Jahr Arbeitslosigkeit wieder einen Job gefunden haben. Letztere sind im offiziellen Duktus ohne Rücksicht auf individuelle Hintergründe, Ausbildung oder Qualifikationen „Langzeitarbeitslose“ und müssen die Aussparung vom Mindestlohn während der ersten sechs Monate der neuen Beschäftigung erdulden.

Auch bei der „Generation Praktikum“ kommt es drauf an. Das Pflichtpraktikum innerhalb der Ausbildung sowie Praktika, die weniger als drei Monate dauern, bleiben weiterhin vom Mindestlohn ausgeschlossen. Außerdem gibt es für einige Branchen und Berufsgruppen, wie z. B. Zeitungszusteller/-innen, Übergangsregelungen für die Anpassung, also zumindest Licht am Ende des Tunnels. Denn ab 2018 soll der Mindestlohn so richtig echt flächendeckend sein – ohne Ausnahmen. Das ist tatsächlich ein Grund zur Freude, so gibt es doch bei Zeitungszusteller/-innen recht beachtliche Gefälle von 20 Euro pro Stunde für Nachtarbeit in München bis hin zu kaum mehr als fünf Euro im Osten für dieselbe Tätigkeit.

Alles wird teurer!

Die Befürchtungen von Kritikern des Mindestlohns, berufenen Ökonomen, betroffenen Unternehmern und nörgelnden Politikern lauten bei all dem ungefähr so: Der Mindestlohn wird das Wachstum der deutschen Wirtschaft immens schwächen/ausbremsen/in Null- oder Minuswachstum verwandeln und einige hunderttausend Arbeitsplätze kosten. Außerdem ist der Mindestlohn ein „Bürokratiemonster“, dessen Umsetzung völlig unmöglich ist – schon allein hinsichtlich der nötigen Arbeitszeiterfassung. Das zeige schon die Tatsache, dass 1.600 Stellen beim Zoll eigens dafür eingerichtet werden sollen, den Mindestlohn einzuführen und zu realisieren. Außerdem seien den Kritikern zufolge Abschlussarbeiten von Studenten in Unternehmen in höchster Gefahr und natürlich werde alles viel teurer und schließlich müsse der Verbraucher den Mindestlohn bezahlen.

Ob der Mindestlohn glücklich macht, werden die kommenden Monate und Jahre zeigen. Und vor allen Dingen: Wen.

Die Leidtragenden: Gastgewerbe, Dienstleistungsbranche, Einzelhandel und Verbraucher

So will laut einer Umfrage des Ifo-Instituts jeder dritte Gastronom und Hotelier seine Preise erhöhen, 28 Prozent wollen Sonderzahlungen kürzen, 22 Prozent Personal abbauen. Besonders schwierig wird es neben dem Gastgewerbe für den Dienstleistungsbereich und den Einzelhandel. Dabei sind im Osten Deutschlands 43 Prozent der Unternehmen und fast jeder fünfte Arbeitnehmer vom Mindestlohn betroffen, im Westen hingegen 24 Prozent der Unternehmen. Soviel scheint jedenfalls klar: Taxifahren, Mittag essen und der Friseurbesuch werden künftig teurer.

Mit eben dieser Horrorvision von völlig überteuerten Alltagsdingen wollen die Kritiker dem armen Bürger den bösen Mindestlohn madigmachen; es ist ihr wirksamstes Argument. Das ist perfide und zutiefst deutsch im schlechtesten Sinne. Denn genau da liegt eine zentrale Herausforderung: Selbstverständlich muss jeder Einzelne den Mindestlohn mittragen. Und das ist auch gut so, da es um sehr viel mehr Gerechtigkeit für sehr viel mehr Mitmenschen geht. Aber diese Tatsache nutzen zu wollen, um zu verhindern, dass diese Mitmenschen trotz einer Vollzeitbeschäftigung nicht von ihrer Arbeit leben können, ist unsäglich.

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es

Deutschland ist das 22. von 28 EU-Ländern, die den Mindestlohn einführen. Es funktioniert also in zahlreichen anderen Staaten und zeigt, dass nicht in kürzester Zeit ein totaler Wirtschaftscrash folgt, sondern der Binnenkonsum gestärkt wird – denn wer Geld hat, gibt es auch aus. Zudem wird durch den Mindestlohn die Belastung für den Steuerzahler sinken, glaubt Heinrich Alt, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit. Denn jährlich werden voraussichtlich 700 bis 900 Millionen beim Arbeitslosengeld II eingespart. Auch die befürchteten steigenden Arbeitslosenzahlen hält Alt für „übertrieben“. Und ob es bei der Kritik am Mindestlohn wirklich um die wirtschaftliche Bedrohung zahlreicher Unternehmen geht oder lediglich um eine Reduzierung der Gewinnmarge, die man eben einfach nicht hinnehmen will, ist ebenfalls fraglich.

Fakt ist, dass vermutlich die meisten Menschen unterschreiben würden, dass jede Arbeit einen gewissen Wert haben soll, und zwar sowohl monetär als auch ideell. Auch sollte Beschäftigung so gestaltet sein, dass man nicht nur die Wahl hat zwischen Arbeitslosigkeit und einer Arbeit, von der man nicht leben kann. Und mit derartigen Ansichten, die manch Mindestlohn-Kritiker wohl schon „pathetisch“ nennen würde, ist es eben schwerlich vereinbar, für 5 Euro in einem Restaurant essen zu gehen oder ein Shirt für 3 Euro zu tragen. Vielleicht wäre es hierbei auch hilfreich zu fragen, ob jene laut bellenden Kritiker des Mindestlohns je das Vergnügen gehabt haben, für 5 Euro pro Stunde zehn Stunden am Tag zu kellnern. Oder sind sie möglicherweise der Ansicht, der Kellner oder Kantinenmitarbeiter, der ihnen das Mittagessen serviert, habe eben in der Schule nicht so gut aufgepasst wie der bayrische Berufspolitiker oder F.A.Z.-Kolumnist aus dem Ressort „Recht und Steuern“ und habe diese Unwürdigkeit demnach verdient?

Moralische Integrität versus „Geiz ist geil“

Und bei all dem bleibt doch dies zu bedenken: Der umstrittene Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde bei einer vollen Stelle von 40 Stunden ergibt rund 1.400 Euro pro Monat. Brutto. Dass dies ein Luxus sein soll, den sich dieses Land im Gegensatz zu den meisten anderen EU-Ländern nicht leisten kann, ist schwer nachzuvollziehen. Der Mindestlohn wird kaum das Allheilmittel sein, die uns umgebende Marktwirtschaft besser, moralischer, menschenwürdiger oder gerechter zu machen. Aber er ist – bei aller Kritik und den sich bietenden Schlupflöchern – ein Schritt in die richtige Richtung. Die nächsten Monate und Jahre werden zeigen, ob sich diese Marktwirtschaft den Wettstreit moralischer Integrität mit einer gewachsenen „Geiz-ist-geil“-Mentalität leisten möchte.

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